Du läufst los, dein Pferd läuft los. Du bleibst stehen und dein Pferd bleibt stehen. Fast immer… Du reitest dein Pferd und nur durch die Gewichtsverlagerung geht es in ein wunderschönes Schulterherein oder stoppt auf ein leises Ausatmen. Meistens… Dein Pferd kann perfekt Hufe geben? Aber immer nur dann, wenn der Hufschmied nicht da ist? Dein Pferd kann auch wahnsinnig lieb und brav am Putzplatz stehen. Jeden Tag… Aber wenn der Tierarzt kommt irgendwie nicht mehr so gut? Diese kleinen und großen Momente kennen alle Pferdemenschen und sie haben meistens eine ganz bestimmte Ursache.
Wie Erwartungen uns beim Pferdetraining im Weg stehen können
Da ist nämlich diese Sache mit den Erwartungen. Die tragen wir genau wie unsere Gefühle und Gedanken ungewollt wie ein Ausrufezeichen vor uns her. Zumindest für unsere Pferde. Die wissen nämlich ab unserem ersten Schritt auf die Koppel schon wie es uns geht. Die Pferde wissen auch ganz genau, ob wir entspannt und fokussiert sind. Ob wir im Hier und Jetzt sind, ob wir ganz bei ihnen sind oder bei unserer Umgebung, bei uns selbst, in der Vergangenheit oder in den letzten drei Stunden des hektischen Büroalltags. Unsere Gefühle schreien wir unseren Pferden manchmal ziemlich laut entgegen und manchmal flüstern wir sie auch ganz leise in ihre Pferdeohren. So oder so – wir können sie vor unserem Pferd nicht verheimlichen.
Da kommt das wichtigste Hilfsmittel fürs Pferdetraining ins Spiel. Es ist unser Fokus!
- Sind wir ganz da?
- Wissen wir wirklich genau was wir wollen
- Sind wir in Gedanken nur bei unserem Pferd und dem nächsten Schritt
- Sind wir dabei entspannt und nicht verbissen?
- Haben wir eine gute Körpersprache und klare Signale?
- Glauben wir daran, dass unser Pferd tun wird, worum wir es bitten?
- Auch ganz tief in uns drinnen?
All diese Fragen spielen für das Pferd eine Rolle. Deswegen ist der Fokus im Pferdetraining im Grunde eines der wichtigsten Kommunikationsmittel, die wir haben.
Warum das Pferd heute anders reagiert als gestern oder morgen
Unter anderem machen Pferde deswegen meistens genau das nicht, was wir bitte gerne unbedingt jetzt sofort von ihnen hätten – wenn wir es zu sehr wollen. Weil zum Beispiel Zuschauer an der Bande stehen oder die neue Trainerin am Stall ist oder der Tierarzt nur wenig Zeit hat oder der Hufschmied sehen soll, dass wir ein braves Pferd haben oder die anderen Kursteilnehmer ganz genau zusehen. Weil wir dann in unseren Gedanken mehr bei der Umgebung sind als bei unserem Pferd. Genau das registriert das Pferd blitzschnell, checkt mit kleinen Gesten ab, ob es mit seiner Vermutung richtig liegt und beschließt dann je nach Rang und Charakter mehr oder weniger mitzuarbeiten. Es gibt natürlich auch andere Gründe und auch Pferde haben gute oder schlechte Tage – aber ich stelle für mich fest, dass es meistens an mir liegt. Weil ich nicht genug „Ommmmmm“ und Fokus in mir getragen habe.
Mehr Ommmmmm bitte
Pferde reagieren auf unsere ganze Gefühlswelt und auf unsere guten und schlechten Tage. Sie reagieren auf unsere unachtsamen Momente und sie fragen immer wieder nach. Dann entstehen diese vielen kleinen Situationen. In denen wir uns fragen, warum unser Pferd etwas heute nicht mehr kann, was es gestern noch konnte oder wieso wir heute wieder über die Führposition sprechen müssen, die die letzten Monate so gut geklappt hat. Weil vielleicht unser Körper etwas steifer ist als am Vortag, weil wir schlecht geschlafen haben. Oder weil wir in Gedanken noch bei der Arbeit sind oder weil wir müde sind und uns nicht so gut konzentrieren können. Weil wir deswegen keine so klare Körpersprache haben oder nicht so aufmerksam sind. Deswegen würde uns ein klein bisschen mehr Ommmmmm, ein entspanntes Atmen, ein zufriedenes Lächeln und der Fokus auf das Hier und jetzt im Pferdetraining gut tun.
Was du tun kannst für mehr Ommmmmm in deinem Pferdetraining:
- Einmal tief ein- und ausatmen
- Lächeln
- Noch mehr Lächeln – das entspannt nämlich
- Aufhören über das gestern und morgen nachzudenken
- Nur im Hier und Jetzt sein
- Dein Pferd ansehen und dich fragen, warum es reagiert wie es reagiert
- Jemand von außen dazuholen, der euch beobachtet und dir sagt, woran es in deiner Körpersprache gelegen haben könnte
- Vergessen, was du dir erhofft und erwartet hättest oder was andere von dir denken könnten – es ist nur wichtig, was du und dein Pferd denkt
Schluss mit den Erwartungen!
Nicht zu vergessen: Diese kleinen und großen Situationen entstehen natürlich auch, weil auch Pferde gute und schlechte Tage haben. Weil in der Herde mehr Hektik war, weil sich ihr Rang in der Herde verändert hat oder weil sie sich verlegen haben. Weil sie zuviel oder zu wenig Energie haben, weil es eine Wetterumschwung gab. Auch das sind Faktoren, die das Pferdeverhalten beeinflussen können. Aber sehr oft liegt es an uns, unseren Gefühlen und der Erwartungshaltung, die wir haben. Das kann ganz auch grundsätzlich und unterschwellig sein.
- Weil wir doch Futter und Stellplatz bezahlen und weil wir doch die Äpfelchen immer in extrahübsche Schnitzelchen schneiden, soll das Pferd doch auch ein bisschen Dankbarkeit und Liebe zeigen. Auch das ist eine Erwartungshaltung.
- Weil wir doch immer so lieb und nett sind, soll das Pferd jetzt auch lieb mitarbeiten. Auch das ist eine Erwartungshaltung.
- Weil die Trainerin zuschaut, soll das Pferd doch heute zeigen, wie toll wir schon zusammenarbeiten. Auch das ist eine Erwartungshaltung.
- Weil die Stallkollegen am Rand der Halle stehen, sollen die alle sehen, wie gut wir uns mit unserem Pferd verstehen und wie toll die Lektionen sind, die es schon beherrscht. Auch das ist eine Erwartungshaltung.
Erwartungshaltungen gibt es vermutlich so viele verschiedene, wie es verschiedene Menschen gibt. Manche sind konkreter und direkter. Manche sind unterschwelliger. Aber wenn wir sie haben, dann schwingen sie wie Wellen zu unserem Pferd.
Zum Beispiel:
- durch den Druck den unsere Gefühle auslösen können
- durch die schlechtere Körpersprache, weil wir vielleicht hektischer sind, weniger fokussiert und konzentriert auf das was wir tun
- durch unseren Kopf, der nur in Teilen anwesend ist
- durch den Druck, den wir uns selbst damit machen
Das spürt jedes Pferd. Je nach Dauer der Zusammenarbeit und natürlich Rang und Charakter des Pferdes, wird es dann mehr oder weniger auf uns reagieren. Wird vielleicht seine „schlechte“ Seite zeigen, uns ignorieren oder sich zurückziehen. Möglichkeiten, wie das Pferd spiegel, was wir ihm in die gemeinsame Zeit mitbringen, gibt es viele. Und sie sind bei jedem Pferd vermutlich auch ein klein wenig anders. Du wirst dein Pferd am Besten kennen und diese Zeichen erkennen.
Ein Beispiel: Wir haben eine neue Liberty-Trainerin, mit der wir zum ersten Mal trainiert haben. Carey kann mittlerweile auf ein leises „Back“ und meine Körperbewegung nach hinten schön Schritt für Schritt mit mir rückwärts gehen. Sie hält (meistens) auf ein „Ho“ und ein unterstützendes Gertensignal in Brusthöhe an. Oft reicht es auch wenn ich stehen bleibe und ausatme. Sie trabt an guten Tagen sogar an, wenn ich nur ans antraben denke. Dann wenn ich zu 100% bei ihr bin.
Also wollte ich der Trainerin natürlich zeigen, wie schön wir das alles zusammen können. Wie achtsam und fein wir miteinander sein können. Wäre da meine Erwartungshaltung nicht gewesen, hätte das vielleicht auch funktionieren können ;-)
Was war in den ersten Minuten? Carey hat nicht so recht gestoppt. Sie hat mich ignoriert und rechts und links herumgeschaut, sie ist nach viel Gertengewedel vor ihrer Nase vielleicht 1-2 müde Schrittchen rückwärts. Hat sich dabei halb eingedreht. Mit geraden Rückwärtsschritten war es nicht mehr so weit her. Zum Antraben musste ich sie mit einigen kleinen Schnalzern animieren und bei den Seitengängen hat sie erstmal an mir herumgestubst und geschubbert, als ob ich ein Kratzbaum wäre. Eigentlich ein NoGo, etwas das sie nicht bei der Arbeit darf und normalerweise auch respektiert. Normalerweise… wären da meine Erwartungshaltungen nicht gewesen, wäre ich ganz bei ihr gewesen und wäre deswegen meine Körpersprache auf den Punkt genau gewesen.
Fokus Pferdetraining
Die Sache mit den Erwartungshaltungen ist nämlich die, dass sie unseren Fokus zerstören. Unser Fokus ist aber das wichtigste Kommunikationsinstrument, das wir mit Pferden haben. Wir müssen wissen, was wir wollen und meinen, was wir sagen. Pferde spüren ob wir zu 100% hinter unseren Worten und Gesten stehen, weil sie Meister der Körpersprache und Muskelleser sind. Sie lesen an unseren Gesten sofort, ob wir sie einfach nur ausführen, oder ob wir sie meinen.
[blockquote author=““]„Das Pferd ist dein Spiegel. Es schmeichelt dir nie. Es spiegelt dein Temperament. Es spiegelt auch deine Schwankungen. Ärgere dich nie über ein Pferd; du könntest dich eben sowohl über deinen Spiegel ärgern.“[/blockquote]
Das hat mir meine Stute mal wieder gezeigt. Denn als ich dann in meinen Gedanken ganz bei ihr war und die Übung mit ihr zusammen meistern wollte und nicht mehr zeigen wollte, wie schön wir doch zusammenarbeiten können – nach einem tiefen Ein- und Ausatmen, ging es auf einmal viel besser. An dem Punkt, an dem ich meiner Erwartungshaltung nicht mehr erlaubt habe meinen Kopf, mein Herz und meinen Körper zu steuern, sondern mit meinen Gedanken nur beim Pferd war, konnten wir als Abschluss noch ein paar schöne Schritte im Seitengang hinlegen. Wir konnten antraben und stoppen auf ein Ho und ein Vorwärts in der Energie. Nicht perfekt und nicht wie sonst, aber besser als am Anfang.
Das alles hat mir wieder einmal gezeigt, dass die größte Aufgabe, die wir im Pferdetraining haben, die ist an uns selbst zu arbeiten. Denn die Pferde können alles von Natur aus ziemlich perfekt – bis wir dazu kommen. Mit unseren Baustellen, seelischen und körperlichen Unzulänglichkeiten, unseren Vorstellungen, Wünschen und Sehnsüchten, unserer Persönlichkeiten Körpersprache und Signalgebung und unserer Erwartungshaltung. An das Pferd oder an den Moment.
„Das Pferd ist dein Spiegel. Es schmeichelt dir nie. Es spiegelt dein Temperament.
Es spiegelt auch deine Schwankungen. Ärgere dich nie über ein Pferd; du könntest dich eben sowohl über deinen Spiegel ärgern.“
…hat der Hippologe Rudolf G. Binding einmal gesagt. Und er hat Recht.
Ärgere dich also nie über dein Pferd, denn Wut und Ärger werden dir und eurer gemeinsamen Zeit nicht weiterhelfen. Sondern überlege dir, was der Grund gewesen sein könnte für die Misskommunikation, setze neu an, atme tief durch oder bitte jemandem dir und deinem Pferd bei der Arbeit zuzusehen und dir ein Feedback zu geben. Lächle und mache weiter. Sei es in kleineren Schritten, mit einer leicht varriierenden Körpersprache, mit weniger Signal oder mehr – je nachdem was du gerade brauchst, um deinem Pferd zu zeigen, was du gerne machen würdest.
Ich bin nicht wütend oder sauer auf meine Stute, weil sie nicht so mitgearbeitet hat, wie ich mir das gewünscht hätte. Zum einen weil ich weiß, dass es mein Fehler war, weil meine Körpersprache nicht so klar war an dem Tag, weil ich mit meinem Fokus nicht ganz bei ihr war und sie mir das als selbstbewusstes und junges Pferd sofort spiegelt.
Ich bin ihr sogar dankbar dafür, dass sie meine kleinen und großen Fehler nicht ausbügelt, sondern immer und sofort spiegelt. Denn dadurch lerne ich jedesmal dazu – für die Zusammenarbeit mit dem Pferd und auch für mich selbst.
Das ist aus meiner Sicht ohnehin eines der größten Geschenke, das uns Pferde machen können, dass sie uns auf uns selbst zurückführen und uns dabei helfen können ruhiger, fokussierter, klarer und gelassener zu werden. Vorausgesetzt wir erkennen ihre Fähigkeiten als Lehrer an und lassen uns darauf ein.
Liebe Petra,
Vielen Dank für diesen Artikel!
Fokus ist gerade das Thema an dem ich arbeite (zusammen mit Pearl)
Sie ist sehr feinfühlig, sobald sie merkt dass ich nicht ganz bei ihr bin war es das mit der Zusammenarbeit. Wenn ich es nicht 100% so meine, merkt sie das. Sie steht dann einfach und lässt sich nahezu nicht mehr vorwärts bewegen. Manchmal noch seitwärts und sehr gerne rückwärts, aber kein Schritt nach vorne. Als gäbe es da eine magische Grenze…
Nachdem ich jetzt ca. Ein halbes Jahr alle möglichen Tricks und Techniken ausprobiert habe um mit ihr alleine vom Stall und der Herde weg zu laufen, kam ich auf die Idee mal zu testen ob es an mir liegt oder ob sie generell nicht möchte/kann.
Also habe ich die Rb eines anderen pferdes gebeten, pearl zu schnappen und mit ihr weg zu laufen. Mir fiel die Kinnlade runter als pearl, ganz selbstverständlich und entspannt mit lief.
Ich hab dann gefragt was sie anders macht als ich.
Tja.
Zum einen wusste sie nichts von pearls „problem“(wohl eher meins…) und war daher ganz unvoreingenommen.
Zum anderen hat sie diesen vorwärts-drive, man möchte einfach mit ihr mitgehen, da sie pure Entspannung und Leichtigkeit ausstrahlt.
Ganz wertvoll für mich: wir sind dann nochmal zusammen los, ich hatte pearl und sie ist uns in einigem Abstand gefolgt und sie hat mir erklärt, welche inneren Bilder sie verwendet und zack, zum ersten mal nach 6 Monaten ist mein Pferd mit mir mit gelaufen, als wäre es die einfachste Sache der Welt!!♡
Was es mir gezeigt hat: pearl ist eine sehr strenge Lehrerin! Und das ist super, denn nur so kann ich mich weiter entwickeln:-)
Ich übe also jetzt, meinen fokus zu finden und achtsam zu sein *ommmmm*
Liebe grüsse
Michelle
Hallo liebe Michelle, das ist ja mega mega!! Genau das erlebe ich auch immer immer wieder – Pferde sind so fein und lesen unsere Gedanken.
Ganz liebe Grüße und danke für deinen wunderbaren grandiosen und spannenden Kommentar, Petra
Absolut korrekt.Das genau sind auch meine Ansichten.Der Mensch macht die Fehler und nicht das Pferd.Sehen aber leider sehr wenige,so wie es im Artikel deutlich beschrieben,trifft es zu hundert Prozent zu.Toller Bericht :-)
Danke <3 Ich hoffe ja, dass es immer mehr Menschen sehen und erkennen, wie gut uns das tun kann, wenn wir uns darauf einlassen und an uns arbeiten. Eigentlich ist es doch zutiefst egoistisch, weil wir selbst dadurch so viel zurückbekommen. Alles Liebe, Petra
Liebe Petra!
Der liebe Fokus, manchmal gar nicht so leicht ihn zu halten. :) Danke für deinen schönen Artikel zu diesem Thema. :)
In der Zeit die ich mit Chicky verbringe erkenne ich genau meineTagesverfassung. Bin ich fokussiert und bei der Sache klappt unser Miteinander wunderbar. Bin ich abgelenkt und gestresst wird alles schwierig. Faszinierend wie schnell sie uns durchschauen!
Für mich ist es aber auch ein wahnsinnig schön, man lernt dabei so viel über sich selbst. Vieles fällt einem vielleicht nicht auf, unseren Pferden aber auf jeden Fall!
Liebe Grüße
Claudia
Liebe Claudia, wie wahr – die Pferde erkennen so viel früher als wir selbst, wie wir drauf sind. Da können wir uns noch so sehr bemühen ;-) Ganz liebe Grüße an Chicky und dich und bis bald, Petra