Stell dir vor, du machst eine Diät. Wochenlang gibt es nur Knäckebrot, Wasser und ab und an eine Möhre für dich. Kein Fett, kein Zucker, keinen Käse. Nur trockenes leichtes Knäckebrot. Und dann von heute auf Morgen gibt es plötzlich Schokolade satt, Sahnejoghurt, Torte und fette Pizza – den ganzen Tag. Was meinst du, wie du dich dann fühlst? Und was dein Körper zu dem Fett- und Zuckerschock sagt? Genauso geht es deinem Pferd beim Weidestart… dann kann Hufrehe drohen oder andere Stoffwechselkrankheiten. Du kannst es aber vermeiden, indem du dein Pferd richtig anweidest. Das ist eigentlich ganz einfach.
Für den Pferdeorganismus ist der Start der Weidesaison eine echte Umstellung. Das kann schief gehen, wenn du es einfach so von heute auf morgen von der Winterkoppel aufs Gras lässt. Deswegen ist das Angrasen so unglaublich wichtig. Der Winter ohne Koppelgang ist in etwa für die Pferde, wie für uns eine fettarme Diät. Anweiden ist also im Grunde wie die Umstellung von einer Diät auf normale Ernährung.
Wenn wir nicht richtig anweiden, servieren wir den Pferden sozusagen eine Schokoladensahnebuttercremetorte in Grasform. Warum das so ist und wie du deinem Pferd helfen kannst damit besser umzugehen, erkläre ich dir jetzt.
Was passiert in der Winterpause im Körper?
Dein Magen gewöhnt sich um, du nimmst vielleicht auch etwas ab. Deine Leber und deine Nieren gewöhnen sich an die magere Kost. Dein ganzer Körper stellt sich um und schaltet auf Überlebensmodus. Er zieht jedes kleinste bisschen Kalorie und Nährstoff aus den Nahrungsmitteln die er bekommt. Er schaltet den Stoffwechsel ein klein bisschen runter, um möglichst wenig Kalorien zu verbrauchen. Wenn du dann nach der Diät sofort wieder losfutterst als ob es kein morgen gäbe, wird dein Körper alles raffen, was er bekommt. Es könnte ja wieder eine Hungerperiode kommen. Das ist dann der berühmte Jojo-Effekt. Bei den Pferden ist das ähnlich. Da ist der Körper noch viel besser als unserer auf die unterschiedlichen Jahreszeiten und Nahrungsangebote ausgerichtet. Also der Vergleich mit der Diät hinkt natürlich ein kleines bisschen, aber ich wollte dir einfach nur an einem Beispiel zeigen, was das Weidegras für das Pferd in etwa bedeutet. Wenn sie den ganzen Winter nur Heu und vielleicht ein bisschen Mineralfutter bekommen, gewöhnt der Körper sich daran.
Warum Gras nicht gleich Gras ist
Dazu kommt, dass die Pferde eigentlich nicht auf das fette deutsche Weidegras ausgerichtet wurden von Mutter Natur. Sie sind auf Kräuter, Blätter, Äste. Moorerde, karges Steppengras und ab und an ein bisschen fetteres Gras ausgerichtet. Insofern muten wir ihren Körpern ohnehin einiges zu mit unserem Weidegras, das seit Jahrzehnten auf die Viehmast optimiert wurde. Dazu geben wir ihnen noch Kraftfutter, Möhren und Äpfel. Das alles würden sie in dem Ausmaß gar nicht in der freien Natur bekommen.
Und jetzt gehen wir auch noch hin und sperren das Gras den kompletten Winter weg. Dann kommt das Frühjahr, die Weiden sprießen besonders saftig und wir lassen sie an dem Punkt auf die Wiesen, wenn das Gras im Grunde am reichhaltigsten ist.
Denn das Wetter und die Koppeln müssen ja auch schon bereit sein, wenn wir die Weide eröffnen. Irgendwann im Mai in den meisten Ställen.
Du siehst also: Das ist also wie die Schokoladensahnebuttercremetorte nach der Knäckebrotdiät für den Organismus unserer Pferde.
Oh happy day: Die Koppeleröffnung
So sieht das bei uns am Stall aus – die Tochter unserer Stallbesitzer – Bianca hat dieses wunderschöne Video gedreht. Carey zeigt auf jeden Fall, wie rasant sie angaloppieren kann:
Bevor wir gleich über die wichtigsten drei Schritte zum gesunden Angrasen sprechen, erst einmal noch ein paar Facts zur Hufrehe. Denn zuviel Gras auf einmal, kann sogar Hufrehe auslösen.
Hufrehe Gefahr – was tun?
Hufrehe ist im Grunde eine Entzündung der Huflederhaut. Das ist sehr schmerzhaft für dein Pferd und kann je nach Grad und Ausmaß unheilbar sein. Es gibt viele verschiedene Varianten der Hufrehe, aber die häufigste ist die, die durch eine Futterumstellung ausgelöst wird – wie zum Beispiel das fette Gras nach dem langen kargen Winter.
Was passiert bei der Hufrehe?
Wenn dieser Wechsel zu zackig passiert, können die guten Darmbakterien absterben und das wiederum kann den Organismus des Pferdes vergiften. Das ist dann der Auslöser für Durchblutungsstörungen und die treffen besonders die ganz dünnen Blutbahnen im Huf. So entsteht die Hufrehe. Je nachdem welche Rasse dein Pferd ist, ob es dick oder dünn ist, eher empfindlich oder robust, kann es durch das abrupte grasen und den heftigen Futterwechsel Hufrehe bekommen – mehr oder weniger stark. Es kann übrigens auch zu Durchfall oder sogar einer Kolik kommen.
HIER findest du bei Pferdespiegel noch mehr Infos zu dem Thema „Gras“ und „Kolik“
Das kannst du ganz einfach verhindern durch drei Schritte. Ich erkläre sie dir gleich. Es kostet dich nicht viel Aufwand, nur ein bisschen Zeit. Und das ist die Gesundheit deines Pferdes doch wert, oder?
3 Schritte: Wie du deinem Pferd helfen zu einem gesunden Start in die Weidesaison verhelfen kannst
Schritt 1: Kräuter für dein Pferd!
Du kannst deinem Pferd in den Wochen vor und während des Weidestartes entsprechende entgiftende Kräuter als Kur zufüttern. Wir nehmen zum Beispiel die „WEIDESTART Kräuter“ von der Krauterie. Da sind entgiftende und Stoffwechselfördernde Kräuter drin wie Mariendistel oder Artischoke. Damit hilfst du deinem Pferd und seinem Organismus besser mit dem fetten Weidegras klarzukommen
Schritt 2: Angrasen!
Wenn du mit deinem Pferd Spazieren gehst, kannst du ihm immer wieder zwischendurch erlauben dort zu knabbern, wo es knabbern möchte. Den ganzen Winter durch. Wenn es dann auf die Koppeleröffnung zugeht, kannst du dir einen Plan machen und in den Wochen vorher – jeweils bewusst grasen lassen.
- Tag 1: 5 Minuten täglich
- Tag 3: 10 Minuten täglich
- Tag 5: 15 Minuten täglich
- Tag 7: 20 Minuten täglich
- Tag 9: 25 Minuten täglich
- Tag 14: 30 Minuten täglich
Damit bereitest du dein Pferd auch schon auf die Koppeleröffnung vor, weil sich der Körper schon langsam an das Gras gewöhnen kann. Und es wird dich dafür lieben ;-)
Schritt 3: Stundenweise auf die Koppel!
Es ist soweit, die Koppel wird eröffnet. Die Pferde warten schon darauf, weil sie ahnen, dass es bald aufs frische Gras geht. Jetzt ist es wichtig, die Pferde nicht stundenlang auf die Koppel zu lassen. Wenn dein Stallbesitzer es nicht ohnehin schon von alleine macht, dann musst du den Part selbst übernehmen: Lass dein Pferd erstmal nur eine Stunde auf die Graskoppel. Und dann jeden Tag ein paar Minuten länger. Nach wenigen Wochen kann dein Pferd dann schon den ganzen Tag auf die Koppel. Natürlich hängt das auch individuell vom einzelnen Pferd ab, von den Wetterbedingungen und den Bestandteilen in eurem Gras. Aber du kannst dein Pferd ja beobachten, die Hufe überprüfen und dann je nach Eindruck entscheiden, ob du etwas langsamer vorgehen musst oder ob das Timing so gut für euch ist. Denn jedes Pferd ist ja auch ein bisschen anders.
Zusammengefasst – warum es so wichtig ist anzugrasen:
Zuviel Gras im Frühjahr nach der Winterpause überlastet den Organismus deines Pferdes. Wenn du aber Schritt für Schritt vorgehst, aufpasst und deine Pferd auch im Winter immer gibst, was sein Organismus gerade braucht – zum Beispiel durch Kurweise Kräuterfütterung der entsprechenden Kräuter, dann kannst du dein Pferd optimal auf den Weidestart vorbereiten. Denn die Wildpferde würden sich auch im Winter durch ihre Wanderungen permanent das Futter holen, was sie gerade brauchen. Sie würden im Frühjahr nach und nach immer mehr Gras und Blätter bekommen, wenn alles anfängt zu spriessen. Nur können die Pferde das natürlich nicht in unserer Menschenwelt. Deswegen ist es so wichtig, dass wir dafür sorgen, dass die Haltung dem Wildpferdleben so nah kommt, wie es eben für uns individuell möglich ist.
Vielen Dank für den tollen Artikel. Man kann beim Anweiden nicht vorsichtig genug sein.
Liebe Petra,
mit der Erfahrung mit einem Pony was leider erhebliche Schwierigkeiten mit Gras hat, kann ich vielleicht noch ein paar Punkte ergänzen.
– Der Fruktangehalt vom Gras ist besonders hoch, wenn es vorher kalt war d.h. nicht morgens, wenn es womöglich sogar noch leichten Bodenfrost in der Nacht hatte das Pferd auf’s Gras lassen (auch nicht für fünf Minuten)
– wir lassen einen Teil Weide das ganze Jahr unberührt. Weder mähen wir, noch lassen wir die Pferde dort grasen. Dieses Stück nehmen wir dann zum Anweiden. D.h. eigentlich haben wir zwei Stücke, die jedes Jahr abgewechselt werden. Hier müssen die Pferde sich erst mal durchwursteln.
– Mein Pony ist, auch wenn mir das Herz blutet, jetzt noch nicht auf der Weide. Denn momentan ist der Fruktangehalt viel zu hoch für ihn und er muss warten bis wir hochgewachsene Weiden haben, wo das Gras schon eine Weile drauf gewachsen ist und die Temperaturen höher sind. Als Mini-Shetty ist er sehr leichtfuttrig zudem verträgt er den hohen Eiweißgehalt überhaupt nicht. Das habe ich die letzten Jahre leider nicht ganz so konsequent durchgezogen und hatte regelmäßig gesundheitliche Probleme bei ihm (wobei mir nicht klar war, dass trotz sehr sorgfältigem Anweiden und aller anderen Maßnahmen das Gras für ihn einfach noch nicht geeignet ist)
– kurz abgefressene Weiden haben einen hohen Fruktangehalt und sind deshalb gerade für empfindliche Pferde nicht geeignet
– es mag übertrieben wirken, aber ich stelle mir jedes Mal einen Wecker um nicht durch andere Arbeiten abgelenkt zu vergessen die Pferde wieder runter zu holen. 5 Minuten länger sind gerade am Anfang die doppelte Zeit
– jedes Mal, wenn wir die Pferde vom Gras geholt haben, bleiben wir noch eine ganze Weile im Stall, schauen wie die Pferde sich verhalten (bekommt einer Bauchschmerzen, Durchfall) und entscheiden dann wie am nächsten Tag vorgegangen wird. Hat einer etwas weichere Äpfel wird die Weidezeit am nächsten Tag verkürzt und noch langsamer vorgegangen
Im Stall wurden wir mit unseren Minis ausgelacht, weil wir uns soviel Arbeit mit dem Anweiden machen. Bei den großen Pferden wurden sie am Anfang einfach für 15 Minuten auf die Weide gestellt. Das Ergebnis: Zwei Pferde haben Hufrehe und drei hatten Durchfall. Meiner Meinung nach kann man hier einfach nicht vorsichtig genug sein.
Liebe Grüße
Miriam
Liebe Miriam, danke dir für diese Ergänzungen – sie sind klasse – wie immer ? Wir haben momentan nur das hohe Gras und Gott sei Dank haben alle Pferde bislang das Anweiden durch die Vorgehensweise (die alle am Stall gewählt haben, soweit ich das mitbekommen habe) gut überstanden. Ich hoffe, dass das auch so bleibt. Ich kontrolliere auch immer die Hufe, ob sie wärmer sind als am Vortag und schaue mir Carey gerade genau an. Ein bisschen zugelegt haben sie alle schon, allein durch die wenigen Wochen kurzes Angrasen. Allein daran sieht man ja wie viel Energie und Nährstoffe in dem “bisschen” gras stecken. Ganz liebe Grüße und danke dir für deine Ergänzungen, Petra