Willst du wirklich wissen wie Pferde denken und fühlen? Willst du mehr erfahren über Pferdeverhalten und wie du lernen kannst ein bisschen mehr in ihre Köpfe zu schauen? Dann ist diese Serie hier genau das Richtige für dich.
Pferdepsychologin und Kräuterexpertin Herdis Hiller schreibt über das „Eins werden mit dem Pferd“. Schritt für Schritt – inklusive praktischer Übungen. Sie ist studierte Pferdepsychologin und Pferdeverhaltenstherapeutin und hat sich dem sanften Weg der Pferd-Mensch-Kommunikation verschrieben.
TEIL 1 der Serie findest du HIER – Eins werden mit dem Pferd: Was ist der Schlüssel zum Erfolg?
TEIL 2 der Serie kannst du HIER nachlesen – Die Natur der Pferde: Was die Pferdeseele bewegt und wie Pferde wirklich ticken
Teil 3 der Serie kannst du HIER nachlesen – Was Pferde brauchen und welchen Menschen sie an ihrer Seite brauchen:
Teil 4 der Serie „Eins werden mit dem Pferd“ von Herdis Hiller – Führungskompetenz? Was Pferde wirklich von uns brauchen und welchen Menschen
Im letzten Teil haben wir uns mit den Grundbedürfnis der Pferde beschäftigt und haben uns angesehen, was bei einem Pferd das Gefühl von Sicherheit hervorrufen kann.
Ein wichtiger Aspekt von Sicherheit fehlt uns aber noch. Und das ist die Führungskompetenz.
Führung Pferd
Nicht alle Wildpferdeherden sind stabil. Wie „gesund“ eine Herde ist, zeigt sich an der Menge antagonistischen (nicht-kooperativen) Verhaltens, das in der Herde gezeigt wird. Je klarer die Herdenstrukturen, die Regeln und die Rangordnung sind, desto weniger wird antagonistisches Verhalten notwendig.
Stabile Herden haben meist eines gemeinsamen: Sie besitzen eine gute Führung. Instabile Herden meist nicht. Und je instabiler eine Herde, desto geringer die Überlebenschancen.
Gute Führung ist also ein wesentlicher Bestandteil des Überlebens und damit des Sicherheitsgefühls eines Pferdes und trägt wesentlich zur Stressreduktion bei. Wenn unser Pferd also die Sicherheit seiner Herde verlässt und mit uns unterwegs ist, sollten wir ihm Sicherheit durch Führung schenken.
Und auch hier gilt: Je ursprünglicher, überzüchteter oder unsicherer ein Pferd ist, desto wichtiger wird für dieses das Thema Führung sein. Je weniger ein Pferd das „Fluchttier-Gen“ in sich trägt, desto unscheinbarer mag dieser Punkt erscheinen.
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Was ist gute Führung? Menschliche versus Pferdische Ansichten
Menschen und Tiere betrachten Führung zum Teil sehr unterschiedlich. So meinen manche Chefs und Manager im Menschenreich, dass cholerisches Auftreten, Drangsalieren von Untergebenen und grundlose Aggressionen einen ordentlichen Anführer ausmachen.
Bei einem Pferd erreichen wir damit ganz sicher nur zwei Dinge:
- Es bekommt Angst
- Es verliert den Respekt vor uns, weil wir unsere Gefühle nicht im Griff haben
Weil Menschen Führung oftmals mit Unterdrückung und absolutem Gehorsam verbinden, bekommt das Thema oft einen negativen Touch, was ich sehr traurig finde.
Das Wort „Führung“ selbst zeigt doch, das es eigentlich um etwas sehr Schönes gehen kann:
- Jemanden an die Hand zu nehmen
- Ihn zu sichern
- Ihm einen guten Weg zu zeigen
- Ihn durch das Dunkel ins Licht zu führen
Führen hat mit Leichtigkeit zu tun, fast wie ein Tanz
Ja, sogar ganz genau wie ein Tanz, denn auch hier führt ein Partner den anderen, damit die Bewegungen von Zweien eins werden können. Dieses Bild zeigt Euch schon, wie wichtig Führung ist auf dem Weg zur Einheit… die auch nichts anderes ist als ein Tanz.
Ein guter Anführer fragt sich nicht, wie er sich selbst ins beste Licht stellen kann, sondern wie er sein Team so erfolgreich, so selbstbewusst und sicher wie möglich machen kann – dazu gehört auch, die anderen zu respektieren und wertzuschätzen für ihre Funktion in der Herde.
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Denn keine Funktion ist „besser“ als die andere. Alle sind wichtig.
Und: dieser Tanz hat ganz viel mit Freiheit zu tun: So wie eine Mutterstute nicht darauf ist, dass ihr Fohlen ihr bis zum Lebensende am Rockzipfel hängt, sondern zu einem eigenständigen, starken und selbstbewussten Wesen wird, das sich behaupten kann in der Welt.
Das hat natürlich mit Richtung vorgeben, Grenzen setzen, Klarheit und Konsequenz zu tun. Das hat aber auch mit ganz viel Feingefühl, Liebe, Fairness, Loslassen, ja frei lassen zu tun.
So peitschen Leitstuten ihre Herde nicht an und zwingen sie unter Gewalt in eine bestimmte Richtung zu laufen. Im Gegenteil! Sie machen Folgendes: Sie gehen einfach los! Denn sie wissen am besten, wo es sicher ist und welcher Weg der beste ist. Deswegen haben sie diesen Job. Wer will, folgt ihr – oder bleibt in Unsicherheit zurück. Sie hat es gar nicht nötig, die anderen zu drangsalieren. Und weil sie so selbstsicher vorweg läuft, vertraut ihr die ganze Herde ihr Leben an. Und alle fühlen sich sicher.
3 wichtige Frage zum Thema Führung bei Pferden:
- Können und müssen wir Menschen also eine Leitstute sein? Im Wortsinne: Nein. Wir sind keine Pferde.
- Können wir Menschen eine ebenso gute Führungskraft sein wie eine Leitstute? Na klar!
- Sollten wir das sein, damit unser Pferd Sicherheit bekommt und uns vertrauen kann? Ich finde: Auf jeden Fall!
Vertrauen durch Führung
Viele Menschen haben Schwierigkeiten, die Begriffe Vertrauen und Führung unter einen Hut zu bekommen. Oft werden diese beiden Begriffe gegensätzlich benutzt im Sinne von „Vertrauen STATT Führung“. Oder als müsste man sich für eines von beiden entscheiden.
Mir ist diese menschliche Sicht vertraut. Doch die Pferde haben mich gelehrt, dass es das eine ohne das andere nicht gibt. Beides führt zu tiefem Vertrauen, Freiheit und Einheit.
Auch hier gilt: je geringer der Fluchtinstinkt ausgeprägt ist, desto leichter können Pferde oder Ponys vertrauen, je ängstlicher und misstrauischer ein Pferd ist, desto wichtiger sind gute Führungsqualitäten.
Die Fähigkeiten einer guten Führungskraft aus Pferdesicht:
- Emotionen kontrollieren und transformieren
- Nicht von negativen Emotionen beherrscht werden und immer einen „klaren Kopf behalten“
- Den Körper bewusst einsetzen
- Höchste Aufmerksamkeit und Achtsamkeit
- Für das Wohlergehen der Herde verantwortlich sein und hohes Verantwortungsgefühl
- Der Blick fürs große Ganze und damit die gute Übersicht und vorausschauendes Handeln
- Eine sehr gute Intuition
- Regeln und Strukturen klar vorgeben und durchsetzen
…und viele mehr.
Kontrolle und Transformation
Spannenderweise verursachen diese beiden Punkte nicht nur Sicherheit beim Pferd, sondern auch gleichzeitig Anerkennung. Denn für ein Fluchttier ist es äußerst wichtig, dass in der Gefahr Jemand „einen klaren Kopf“ behält und sich nicht von seinen Gefühlen mitreißen lässt. Wer das beherrscht, zeigt sich als vertrauenswürdig. Da Pferde nicht unbedingt diese Verantwortung suchen, geben sie sie gerne ab, wenn Jemand anderes stark genug scheint, um sie in jeder Lebenslage zu schützen.
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Höchste Aufmerksamkeit und Achtsamkeit
Erinnert ihr Euch an das Spiel, von dem ich Euch in einer der letzten Folgen erzählte? Das Wer-lässt-sich-überraschen-Spiel? Ich deutete bereits an, dass dieses Spiel nicht nur dazu dient, die eigenen Sinne zu schärfen und zu trainieren, sondern auch ein wesentlicher Bestandteil der Bildung einer Rangordnung ist. Das hat einen ganz simplen evolutionären Grund: Wessen Aufmerksamkeit so hoch ist, dass er nicht überrascht werden kann, ist am besten geeignet, die Herde zu beschützen.
Besonders die intelligenten Pferde haben sehr schnell raus, ob ihr euch überraschen lasst oder nicht. Wenn nicht, erntet ihr Anerkennung von eurem Pferd. Wenn doch, und das mehrfach, beginnt das Pferd euch und euren Ansagen nicht mehr so viel Bedeutung beizumessen. Bei ranghohen Pferden ist das Beherrschen dieses Spiel demnach besonders wichtig.
Hohes Verantwortungsgefühl
Chef sein, ist kein Privileg. Eine Pferdechefin hat den anstrengendsten Job von allen. Denn ihre Entscheidungen können im Zweifelsfall über Leben und Tod der ganzen Herde entscheiden. Sie muss also vor allem eines besitzen: ein großes Verantwortungsgefühl! Sie muss fähig sein, diese Last zu tragen und diesen Job gut auszufüllen – zum Wohle aller.
[blockquote author=““]Wir geben 50 % Schutz? Dann bekommen wir 50 % Vertrauen. Wir geben 100 % und sind bereit uns wie eine Löwenmutter vor unser Pferd zu werfen, um es zu beschützen? Dann bekommen wir auch 100 % Vertrauen. (pferdeflüsterei.de)[/blockquote]
Auch wir tragen eine große Verantwortung! In dem Moment, indem wir uns einen Pferdepartner an die Seite holen, haben wir die Verantwortung übernommen für sein Leben, seine körperliche, psychische und seelische Gesundheit und sein Glück. Darüber müssen wir uns immer bewusst sein.
Diese Last müssen wir tragen können und wollen. Und wir müssen 100 % bereit sein, unser Pferd vor Gefahren zu beschützen. Denn unser Pferd weiß, wie viel Prozent wir in einem wirklichen Notfall geben würden. Und genau an dieser Zahl wird sich auch sein Vertrauen in uns ausrichten.
Gute Übersicht und der Blick fürs große Ganze
Eine Herdenchefin, die „gedankenverloren“ vor sich hin trottet, könnte ihre ganze Herde ins Verderben führen.
Sie würde die nahenden Löwen nicht bemerken, sie würde kaum das nächste Wasserloch finden und ganz sicher nicht den sichersten Weg dorthin. Darum sind die unkonzentrierten, aufs Detail fixierten, vor sich hin träumenden Pferde keine Anführer (aber gut in anderen Bereichen). Doch gerade diese Pferde benötigen einen guten Anführer, um zu überleben.
- Sie brauchen einen Anführer, der im Kopf schon den Plan hat, wo es hingehen soll, worauf auf dem Weg zu achten ist, wer wo gehen sollte, welche internen Streitigkeiten zu umschiffen sind, wer am besten auf welchem Posten einzusetzen ist und so weiter.
- Er hat im übertragenen Sinne einen Plan A, einen Plan B und einen Plan C für den Notfall.
- Anders gesagt: ihm muss immer was einfallen. Und das in Sekundenbruchteilen. Er muss Entscheidungen mit enormer Reichweite treffen und die sollten auch noch gut sein zum Wohle der Herde.
Was bedeutet das für uns? Auch wir sollten immer ganz genau wissen, was wir wollen, wann, wieso und wohin. Wenn wir eine klare Marschrichtung in uns haben, strahlen wir diese Zielstrebigkeit und Trittsicherheit auf unser Pferd aus. Und unser Pferd wird beruhigt sein: „Ah! Mensch hat einen Plan! Gott sei Dank!“
Außerdem sollten wir die „Gefahren“ auf der Reise bedenken, vorbereitet sein und schon einen Plan haben, wie wir vorbeugen und reagieren können:
- Das bedeutet zum Beispiel beim Ausreiten einen Weg auszuwählen, der für die Sohlen und Beine des Pferdes angenehm und ungefährlich ist
- Das bedeutet, daran zu denken, dass auf diesem Weg vielleicht eine flatternde Plane, ein umgestürzter Baum und eine Kuhherde auf uns warten und schon vor dem Losreiten zu wissen, wie damit am besten umzugehen ist. Zum Beispiel dem Pferd das Bild zu übermitteln: „Achtung! Hinter der nächsten Kurve flattert evtl eine Plane!“
- Das bedeutet aber auch mit den Augen des Pferdes zu sehen, sich umzusehen, so viel wie möglich von der Umgebung wahrzunehmen anstatt das Pferd anzusehen oder in Gedanken zu versinken und das Pferd zu loben, wenn es etwas bemerkt hat, das uns entgangen ist – anstatt das Pferd anzusehen, dorthin zu sehen, wo sich seine Aufmerksamkeit befindet.
Eine gute Intuition
Und für all die Dinge, die wir nicht im voraus wissen können, brauchen wir vor allem eines: eine gute Intuition.
Dieses Thema ist mir ein großes Anliegen, weil unsere heutige Gesellschaft so unheimlich verkopft ist und zu einem großen Teil verlernt zu haben scheint, sich die eigene Intuition nutzbar zu machen. Was unheimlich schade ist, weil uns Menschen damit eine Fülle an Möglichkeiten entgeht.
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Außerdem kann uns der Fokus auf unsere Intuition so unheimlich ruhig machen – der Kopf hingegen macht so unheimlich unruhig.
- Hört auf das Gefühl, das euch sagt, dass ihr heute lieber nicht ausreiten solltet – egal, was die anderen sagen!
- Hört auf die innere Stimme, die euch zuflüstert: „Bleib jetzt hier stehen und warte einfach!“
- Hört auf euer Körpergefühl, dass euch zeigt, ob ihr für etwas bereit seid oder nicht.
Die Intuition lässt sich trainieren. Auch hierzu ist die Konzentration auf den Atem eine gute Technik, um den Kopf verstummen zu lassen. Denn nur, wenn der Kopf mal die Klappe hält, können wir unserer inneren Stimme lauschen.
1, 2, 3: Einatmen – 4, 5, 6, 7: Ausatmen. Länger ausatmen als einatmen.
Wenn ihr ganz ruhig geworden seid, stellt euch vor, wie ihr beim Ausatmen das Herz öffnet.
Wenn es euch hilft, könnt Ihr euch vorstellen, wie ihr in euch selbst einen schönen Weg hinab steigt bis zu dem Ort, an dem Eure Intuition wohnt. Und wenn sich ein ruhiges Glücksgefühl einstellt, stellt eurer Intuition eine gedankliche Frage (keine Zukunftsfragen!).
Zum Beispiel: „Wo sollen wir jetzt längs reiten?“ oder „Was braucht mein Pferd heute?“ Das, was so schnell kommt, dass ihr kaum die Frage zu Ende ausformuliert habt, ist eure Intuition. Alles was danach kommt, ist der Kopf ;-) Aber Achtung: Befragt eure Intuition nicht nebenbei während ihr etwas anderes macht. Die Antwort wird dann eher vom Kopf kommen.
Klare Regeln und Strukturen
Stuten erziehen (oftmals gemeinsam) den Nachwuchs. Hier lernt das kleine Pferd Regeln. Es erfährt, was es tun darf und was nicht. Wie es sich wann verhalten soll. Welchen Pferden es besonderen Respekt zollen muss. Es lernt „Mein Platz – Dein Platz“ und sich in die Rangordnung einzufügen. Dieses Wissen gibt ihm Halt, Sicherheit, Struktur und Geborgenheit.
Vermenschlichung und die Übertragung unserer eigenen Muster und Emotionen auf das Pferd können gerade an diesem Punkt schnell passieren.
Es ist okay und menschlich, zu befürchten, dass das Pferd beleidigt oder verletzt sein könnte, wenn wir ihm eine Grenze aufzeigen oder Regeln vorgeben. Hier hilft es, uns klar zu machen, dass wir nicht unser Pferd sind. Denn für unser Pferd ist gute Führung unheimlich erleichternd, entspannend und beruhigend. Die meisten Pferde sind dankbar, wenn wir die Führung übernehmen und durch Regeln Struktur und Sicherheit vermitteln. Denn Verantwortung für sich und für den Menschen allein tragen zu müssen, kann ständige Überforderung und Stress nach sich ziehen.
Klare Regeln sind außerdem ein großer Unfallschutz. Sowohl für uns als auch für unser Pferd. Und hängen eng mit dem Thema „Verantwortung“ zusammen: Wir sind verantwortlich für das Leben unseres Pferdes – klare Regeln helfen uns dabei, diese zu übernehmen. So bedeutet Verantwortung zu übernehmen auch, sich nicht auf das Glück oder die Umsicht unserer Mitmenschen zu verlassen.
Beispiel überholende Fahrzeuge: Wir haben die Wahl. Wir können uns immer wieder über rücksichtslose Fahrer aufregen und hoffen, dass es jedes Mal irgendwie gut geht. Oder wir können die Verantwortung übernehmen und Maßnahmen treffen, damit auch brenzlige Situationen unbeschadet vorübergehen. Wie zum Beispiel klare Regeln zu definieren.
Das bedeutet in diesem Fall: Zuerst lehren wir das Pferd in sicherer Umgebung folgende Regel zu verstehen und einzuhalten: „Ich möchte, dass du auf ein Zeichen von mir, sofort, und an einer von mir genau definierten Stelle stillstehst, egal, was um uns herum passiert.“
Draußen kann diese Regel unser Leben retten, wenn uns ein Fahrzeug entgegen kommt. Denn nur wir Menschen können die Gefahren unserer menschlichen Umwelt adäquat einschätzen. Ein Pferd, das vor den Geräuschen eines Traktors plötzlich Panik bekommt, könnte sonst entscheiden, direkt vor oder in das Fahrzeug zu springen.
Aber das Pferd, das diese Regel gelernt hat, wird am Wegesrand ruhig stillstehen und mit uns zusammen warten, bis das Fahrzeug vorbei gefahren ist. Dazu gehört natürlich außerdem, das Pferd so früh wie möglich mit allen möglichen neuen Dingen vertraut zu machen und Stress grundsätzlich vorzubeugen und nach einem aufregenden Moment Stress aktiv abzubauen.
Welche Regeln eurer Pferd einhalten muss, obliegt ganz allein euch. Ich empfehle euch allerdings besonders solche zu etablieren, die eurer Sicherheit und der des Pferdes dienen.
Dazu ein Beispiel aus meiner Praxis: Eine Frau bat mich um Hilfe, weil sie Probleme mit ihrem 3-Jährigen Pony hatte. Das Pony war zauberhaft, ein ganz großartiger Charakter, kooperativ und positiv. Um das Problem der Dame zu verstehen, gingen wir zusammen spazieren. Denn sie hatte mir erzählt, dass er sie beim Spazierengehen mehrfach umgerannt hatte. Sie war bereits zwei Mal im Krankenhaus gelandet.
Wir gingen los und ich beobachtete die beiden. Schnell wurde mir klar, wo das Problem lag: Ihre ganze Aufmerksamkeit lag auf ihm. Sie sah ihn die ganze Zeit an, anstatt auf den Weg, die Umgebung und sich selbst zu achten. Und als ich sie fragte, wo sie denn hin wolle, sagte sie „Keine Ahnung. Wir gehen nur spazieren!“
Und je weiter wir kamen, desto unruhiger wurde der kleine Mann, denn der Fokus seiner Besitzerin sagte ihm: „Geh du voraus. Entscheide du. Ich folge dir!“ Aber das Pony war drei Jahre alt. Ein Kind. Er war noch lange nicht bereit (wenn jemals überhaupt), eine solch große Verantwortung zu tragen. Je länger sich nichts an dieser Situation änderte, desto mehr Überforderung sah ich in seinem Blick. Wie es der Zufall so wollte, kam plötzlich ein Sturm auf und es begann zu hageln. In Sekundenbruchteilen explodierte er. Ich konnte ihn gerade noch schnappen und umleiten – sonst hätte er seine Besitzerin wieder umgerannt, und wäre in den Stall zurückgelaufen. Und damit hatte sie ja noch Glück. Ein anderes Pferd hätte womöglich noch deutlich gefährlicher reagieren können.
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Was können wir aus dem Beispiel lernen? Was hat die Pony-Besitzerin versäumt?
- sich auf das Ziel, die Umgebung und sich selbst zu fokussieren
- zu führen, vorauszugehen, abzusichern
- Regeln wie „Mein Platz – Dein Platz“ zu etablieren
- Verantwortung zu übernehmen
- vorausschauend zu denken, deeskalierend einzuwirken und den Überblick zu behalten
Folgende Übungen können helfen, dem Pferd Vertrauen in die Führungskompetenz zu geben:
Übung: „Ich geh voraus“
- Gehe mit deinem Pferd an der Longe spazieren.
- Halte mit der Longe immer Verbindung zu deinem Pferd (nicht durchhängen lassen)
- Lass dich nicht überholen; lass es nicht anhalten
- Halte die Longe immer auf der Seite, auf der sich dein Pferd befindet (damit es dich nicht umreißen kann, sollte es erschrecken und an einer Seite an dir vorbei preschen)
- Habe ein klares Ziel und wisse genau, wo du lang gehen willst
- Gehe voraus, ohne dich nach deinem Pferd umzusehen
- Konzentriere dich gleichzeitig auf deine Umgebung, dein Ziel und dein Pferd
- Spüre an der Longe, was dein Pferd macht – entwickelte ein genaues Bild davon
- Versuche zu ahnen, was dein Pferd als nächstes tun wird, ohne es zu sehen – und entscheide selbst, wo Freiheit und wo Regeln sind
- Aber entscheide klar und immer wieder gleich
Diese Übung zeigt eurem Pferd, dass ihr einen Plan und Übersicht habt sowie Verantwortung übernehmt für euch selbst und für euer Pferd. Wenn ihr euer Pferd immer auf diese Art und Weise führt, wird es sich nach und nach sicherer fühlen – und an eurem Rücken andocken.
Übung: „Traktor im Anmarsch“
- Und dann suche dir einen ganz bestimmten Platz, an dem du möchtest, dass dein Pferd stehen bleibt
- Stelle dir vor, dass ein großer Traktor gleich auf euch zu kommt. Schicke ihm das Bild, wie es an genau dem Platz stehen bleibt bis der Traktor vorüber ist
- Und dann geh dort hin und lasse es genau dort (auf den Zentimeter genau) anhalten und warten (ohne zu fressen, ohne rückwärts zu gehen, die Hinterhand zur Seite zu schwingen, am Strick zu ziehen, zu zappeln).
- Und dann schicke ihm das Bild davon, wie ihr wieder losgeht. Und geh los, ohne dich nach deinem Pferd umzusehen – nur mit der Verbindung Deiner Longe.
Mit dieser Übung betreibt ihr aktive Unfallprophylaxe. Außerdem zeigt sie eurem Pferd, dass ihr die Dinge im Griff habt und besser wisst, was sicher ist. Je öfter ihr euer Pferd vor Gefahren ruhig aber aktiv warnt und vorgebt, wie es damit umgehen sollte, desto mehr wird das Pferd in schwierigen Situationen eure Führung und Hilfe suchen, anstatt sich panisch allein durchschlagen zu wollen.
Übung: „Vorsicht! Unsicherer Boden!“
- Dann stelle dir vor, dass an einer Stelle im Boden ein tiefes Loch ist, das man nicht sehen kann
- Definiere genau den Platz, wo dieses Loch ist
- Schicke deinem Pferd dieses Bild und leite es langsam und vorsichtig eng um dieses Loch herum
- Dein Pferd sollte sich deinem Tempo anpassen (nicht drängeln, in die Hacken laufen oder stehen bleiben)
- Es sollte in diesem Augenblick alle Aufmerksamkeit bei dir haben und nicht in der Weltgeschichte herumsehen
- Es sollte auf dem von dir vorgemachten Pfad folgen
3 Vorteile hat es, wenn ihr diese Übung beherrscht: Zum einen übernehmt ihr für das Pferd sehr deutlich Führung und zeigt ihm, dass ihr vorausschauender und umsichtiger seid als es selbst (was zu mehr Anerkennung und Vertrauen führt). Zum zweiten lernt euer Pferd, auf euch, eure Bewegungen und eure Körpersprache konzentriert zu achten und zentimetergenau zu reagieren. Und Drittens trainiert ihr feine Reaktionen und einen sehr bewussten Körpereinsatz, was euch bei allen reiterlichen Disziplinen, bei der Bodenarbeit aber auch in der Unfallprophylaxe helfen kann.
Übung: „Mein Tanzbereich – Dein Tanzbereich“
Pferde messen Abständen, Bereichen und Plätzen eine große Bedeutung bei. Diese definieren nicht nur ihren Rang, sondern dienen auch der Herdensicherheit. Sie würden sich sonst in Panik über den Haufen rennen.
So hat ein ranghohes Tier einen relativ großen „Tanzbereich“, den niemand anders ungefragt betreten darf (umgekehrt allerdings schon) und rangniedrige Tiere einen deutlich kleineren. Bewegt sich ein ranghohes Tier fort und gerät ein rangniederes Tier so (unverschuldet) in dessen Tanzbereich, weicht das rangniedere Tier.
Wenn wir diese Regel ebenfalls anwenden, werden wir in den Augen des Pferdes nicht zum Pferd. Aber zum einen sorgen wir damit für unsere eigene Sicherheit, denn ein Pferd, dass unseren Bereich respektiert, rempelt uns nicht an, läuft uns nicht über, tritt uns nicht auf den Fuß, buckelt oder steigt nicht direkt neben uns und so weiter. Zum anderen ernten wir auch als Nicht-Pferd Anerkennung und Vertrauen, wenn wir diese Regel nicht nur kennen, sondern sogar anzuwenden wissen.
Übungen, um dem Pferd den eigenen Tanzbereich zu erklären:
1. „Den Halm möchte ich“
- Dafür geht ihr mit eurem Pferd auf ein großes Paddock oder eine Weide
- Lasst das Pferd frei und grasen
- Wenn Ruhe eingekehrt ist, entscheidet ihr, dass ihr genau den Grashalm haben wollt, den das Pferd gleich fressen wird, und nehmt den Platz des Pferdes ein. Nutzt dazu eure Körpersprache.
- Das macht ihr ein paar Mal.
- Viele Pferde haben richtig Spaß und beginnen irgendwann mit euch zu spielen.
Aber denkt an eure Sicherheit! Nie in Schlagnähe kommen!
2. „Vor Betreten bitte höflich anfragen“
- Dann nehmt euch einen Moment für euch und entscheidet euch, wie groß euer eigener Tanzbereich sein soll. (Ich empfehle mindestens die Schlagweite eines Hinterbeins zu nehmen)
- Wenn ihr ein ganz klares Bild von eurem eigenen, persönlichen Bereich habt, ruft euer Pferd.
- Wenn es auf euch zu kommt, schickt ihm ein Bild davon, wo euer Bereich beginnt und bittet es, dort anzuhalten.
- Sollte es nicht darauf reagieren, nutzt eure Körpersprache, werdet aktiv und kreativ, um zu verhindern, dass euer Pferd euren Bereich betritt.
- Wenn es stehen bleibt, geht zu ihm und schenkt ihm eine laaaange Kraulsession
3. Auf alle Lebensbereiche übertragen
Überlegt euch mal in einer ruhigen Minute, wie jede Aktion mit eurem Pferd aussehen würde, wenn ihr die Tanzbereich-Regel anwenden würdet. Wie würdet ihr putzen, worauf müsstet ihr beim Longieren achten? Wie holt ihr euer Pferd von der Weide? …und so weiter.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Ausprobieren und Üben! Und nicht vergessen: Immer schön loben, kraulen und liebhaben :-)
Der Artikel gefällt mir sehr gut, aber in der Theorie ist es halt immer einfacher als in der Praxis. Es gelingt mir selten, über längere Zeit präsent zu bleiben, das gibt natürlich Minuspunkte.
Mein Pferd hat auch leider voll durchschaut, dass ich kein starkes Selbstbewusstsein habe. Das kann man sich halt nicht einfach antrainieren.
Und mein Pferd wird nicht gerne gekrault. Ja, ich kann mit Stimme loben. Futter wäre nicht schlau. Gibt es noch andere Möglichkeiten?
Hallo liebe Sabine, das ist ein langer Prozess und ganz viel Arbeit an sich selbst. Persönlichkeitsentwicklung braucht Zeit. Ich starte jetzt im Februar wieder meinen großen Onlinekurs mit unter anderem verschiedenen Mentaltechniken für mehr Pferdemenschen-Ich in dir. Vielleicht hast du Lust auf den Kurs? Unter https://www.pferdefluesterei.de/mythen kannst du dich für einen kostenlosen 1-Stündigen Online-Workshop anmelden, der kommende Woche stattfindet und wenn du dann Lust auf den großen Kurs hast, kannst du dich dort anmelden und dabei sein :-) Dann arbeiten wir zusammen daran :-) Alles Liebe, Petra
Hallo Petra,
Ich lese gerade die ganze Artikel Reihe und habe auch schon einige gute Anregungen gefunden. Am schwersten ist für mich die Emotionskontrolle und das merke ich auch am deutlichsten bei meiner sehr sensiblen Stute.
Bei einer Sache bzgl. der „Tanzbereiche“ bin ich etwas unschlüssig. Ich gehe oft mit meiner Stute spazieren, da sie draußen eher etwas nervös und unsicher ist und sich viel leichter tut wenn ich am Boden bin, statt im Sattel. Sie rempelt mich auch nicht an oder so, aber vor allem auf Wegen die komplett neu oder gruslig sind und sie sich besonders unsicher fühlt läuft sie gern mit der Nase direkt an meiner Hand (Strick hängt leicht durch) und sucht auch immer wieder ganz sanft den Kontakt. Eigentlich wäre das ja zu nah und voll in meinem Tanzbereich, allerdings habe ich das Gefühl das gibt ihr Sicherheit. Sehe ich das zu menschlich? Auf Wegen, wo sie sich wohler fühlt läuft sie mit etwas Abstand ca. auf Schulterhöhe (gibt hier verschiedene Theorien wo das Pferd laufen soll, ich mag auf meiner Höhe eigentlich lieber als komplett hinter mir), auf dem Heimweg würde sie schon auch mal etwas überholen, da begrenze ich sie dann und schicke sie sanft aber deutlich wieder zurück.
Über ein Feedback zu meinen Überlegungen würde ich mich freuen.
Lg Tina und Josy
Hey liebe Tina, ich variiere meinen „Tanzbereich“ – je höflicher das Pferd oder je besser ich es kenne, desto näher darf es auch. Wenn es unsicher ist oder Angst hat – aber nicht auf mich springt – darf es auch naherücken. Dann „erlaube ich das ja“ und somit ist es meine ENtscheidung :-) Hilft dir das weiter? Ganz liebe Grüße, Petra
ein wirklich toller Artikel!!
eine Frage zur Übung „den Grashalm möchte ich“:
wie vermittle ich meinem Pferd konkret, dass ich hier den Platz einnehmen mag?
Danke und
Liebe Grüße
Claudia
Hallo liebe Claudia, das wird Herdis sicher gerne lesen :-) ICh überlasse mal ihr das Feld und bin gespannt auf ihre Antwort. Ganz liebe Grüße, Petra
Hallo Petra,
toller Artikel, einige Übungen kannte ich schon, aber habe sie mir dank Deinen Artikel noch mal ins Gedächtnis gerufen und werde sie jetzt bei meiner Lilly anwenden.
Ich finde einige Übungen auch sehr geeignet, um die Konsequenz zu üben. Die ist soooo wichtig um Harmonie zwischen Pferd und Reiter zu bekommen. Nur ein konsequent erzogenes Pferd kann sich auf seinen Reiter verlassen und das ist elementar für ein Fluchttier.
Hoffentlich kommen bald weitere solcher ausführlichen Qualitätsartikel :)
LG Christian (und Lilly)