Stell dir vor…
Dein Pferd geht auf der einen Hand entspannt am gruseligen Banner vorbei – doch auf der anderen Seite macht es einen Satz und erschrickt, als wäre es ihm noch nie begegnet. Oder es weicht vor einem Schatten zurück, den du gar nicht wahrgenommen hast. Warum reagieren Pferde oft so überraschend? Die Antwort liegt tief in ihrem Gehirn verborgen.
Pferde haben einige faszinierende neuronale Besonderheiten: Ihre Gehirnhälften sind weniger stark vernetzt als beim Menschen, was bedeutet, dass sie Erfahrungen oft separat für jede Seite speichern; ihr Nervensystem reagiert extrem sensibel auf Umweltreize, da es auf schnelle Fluchtreaktionen ausgelegt ist; und ihre emotionale Verarbeitung ist eng mit ihrem Körper verknüpft, wodurch sie feinste Stimmungen und Spannungen bei Artgenossen und Menschen unmittelbar wahrnehmen und spiegeln können.

Das Pferdegehirn ist…
Das Gehirn eines Pferdes funktioniert grundlegend anders als das eines Menschen. Ein entscheidender Unterschied liegt im präfrontalen Cortex, der beim Menschen stark ausgeprägt ist und für komplexes Denken, Planung und Problemlösung zuständig ist. Beim Pferd ist dieser Bereich hingegen weniger entwickelt, was bedeutet, dass es nicht in derselben Weise reflektiert oder vorausplant wie wir. Stattdessen ist das Pferdegehirn darauf ausgelegt, schnell und instinktiv auf Reize zu reagieren, ohne lange darüber nachzudenken.
Diese direkte Verschaltung zwischen Wahrnehmung und Handlung erklärt, warum Pferde auf visuelle oder sensorische Reize oft sofort mit einer motorischen Reaktion antworten – sie überlegen nicht lange, sondern handeln unmittelbar. Das ist eine überlebenswichtige Strategie für ein Fluchttier, kann aber im Training oder im Umgang mit neuen Situationen manchmal herausfordernd sein.

* Pferde denken nicht in langfristigen Zielen oder logischen Ketten wie wir. Sie handeln nicht bewusst strategisch oder manipulativ, sondern folgen direkt ihren Instinkten und Empfindungen.
* Sie reagieren unmittelbar auf Reize – es gibt keine lange „Denkphase“ zwischen Wahrnehmung und Handlung. Sehen sie etwas Potenziell Gefährliches, folgt die Reaktion sofort.
* Sie können nicht „über etwas nachgrübeln“ oder vergangene Fehler bewusst reflektieren – Lernen findet durch wiederholte Verknüpfungen im Nervensystem statt.
Ähnlich wie beim Menschen beginnt auch beim Pferd die Entwicklung der Organe bereits vor der Geburt. Besonders das Gehirn durchläuft im Mutterleib eine intensive Reifungsphase und legt damit die Grundlage für Wahrnehmung, Lernen und Instinkte. Das Pferdegehirn liegt hinter dem Gesichtsschädel und ist in den Hirnschädel und den Gesichtsschädel unterteilt. Der Hirnschädel wird von der sogenannten Gehirnkapsel gebildet, während der Gesichtsschädel aus der Nasenkapsel, der Mandibula (Unterkiefer) und dem Zungenbein besteht.
Obwohl Pferde uns oft mit ihrer Intelligenz und sozialen Feinfühligkeit beeindrucken, ist ihr Gehirn im Verhältnis zu ihrer Körpergröße erstaunlich klein. Es wiegt zwischen 400 und 700 Gramm – das sind gerade einmal 0,1 % der gesamten Körpermasse. Zum Vergleich: Das menschliche Gehirn ist etwa achtmal so groß. Doch die Größe allein sagt nichts über die Leistungsfähigkeit aus – denn Pferde haben sich perfekt an ihre Lebensweise angepasst und verfügen über ein unglaublich feines Wahrnehmungssystem, das blitzschnelle Reaktionen und eine hochentwickelte soziale Kommunikation ermöglicht.

Es gibt eine wichtige Brücke
Die Brücke zwischen den Gehirnhälften deines Pferde: Das Gehirn eines Pferdes ist – genau wie bei uns Menschen – in zwei Hälften unterteilt: die rechte und die linke Gehirnhälfte. Doch im Gegensatz zu uns ist die Verbindung zwischen diesen beiden Hälften bei Pferden weniger ausgeprägt.
Das bedeutet, dass Informationen, die auf der einen Seite des Körpers aufgenommen werden, nicht automatisch auf die andere Seite übertragen werden. Deshalb kann es passieren, dass ein Pferd eine Übung auf der linken Hand versteht, aber auf der rechten plötzlich so wirkt, als hätte es sie noch nie gemacht.
Genau hier kommen vernetzende Lektionen ins Spiel. Sie fördern die Koordination und Zusammenarbeit beider Gehirnhälften und helfen dem Pferd, Informationen besser zu verarbeiten und auf beide Seiten zu übertragen. Übungen wie geschmeidige Seitengänge, Zirkeln in beide Richtungen, koordinierte Bodenarbeit oder gezielte Gleichgewichtslektionen unterstützen die Vernetzung der beiden Hemisphären.
Dadurch verbessert sich nicht nur die körperliche Balance deines Pferdes, sondern auch seine mentale Verarbeitung und Lernfähigkeit.
Besonders spannend: Diese vernetzten Lektionen haben einen direkten Einfluss auf das Nervensystem deines Pferdes. Sie fördern den Parasympathikus, unterstützen das Pferd dabei, ruhiger, konzentrierter und ausgeglichener zu werden, und helfen ihm, Stress zu reduzieren. (Mehr zum Parasympathicus kannst du HIER in meinem Artikel über das Nervensystem der Pferde nachlesen – das ist hochspannend und hilfreich für dein Pferdetraining und um etwaige Probleme und Missverständnisse zu erkennen und simpel aufzulösen).

Das bedeutet: Ein gut vernetztes Gehirn sorgt für ein entspanntes, lernbereites und motiviertes Pferd.
Genau wie wir Menschen haben auch Pferde eine dominante Gehirnhälfte, die beeinflusst, wie sie lernen, Entscheidungen treffen und auf ihre Umwelt reagieren. Während einige Pferde eher rational, neugierig und gelassen an neue Aufgaben herangehen, sind andere sensibler, emotionaler und reagieren stärker auf äußere Reize. Die dominante Gehirnhälfte spielt dabei eine entscheidende Rolle – und wenn wir sie kennen, können wir unser Training gezielt darauf abstimmen.
Pferde mit einer stärker ausgeprägten linken Gehirnhälfte…
….neigen dazu, ruhiger, analytischer und selbstsicherer zu sein. Sie lernen oft durch Wiederholung und logische Strukturen. Sie hinterfragen Dinge eher, können aber manchmal auch etwas „stur“ wirken, wenn sie eine eigene Meinung zu einer Aufgabe haben. 👉 Trainingstipp: Diese Pferde profitieren von klaren, nachvollziehbaren Übungen mit einer logischen Abfolge.

Pferde mit einer stärker ausgeprägten rechten Gehirnhälfte…
…sind oft sensibler, intuitiver und emotionaler. Sie reagieren stark auf Umwelteinflüsse und sind meist sehr schnell in der Wahrnehmung von Veränderungen. Sie können jedoch auch schreckhafter oder nervöser sein, da sie Informationen eher instinktiv als rational verarbeiten.
👉 Trainingstipp: Diese Pferde brauchen ein Training, das auf Sicherheit, Ruhe und Vertrauen basiert.
Mit diesem Wissen können wir unser Training so gestalten, dass es sich für unser Pferd natürlich, verständlich und stressfrei anfühlt – unabhängig davon, welche Gehirnhälfte dominiert.

Neuronale Besonderheiten von Pferden – Wie ihr Gehirn ihre Wahrnehmung und Reaktionen beeinflusst
- Monokulares Sehen & eingeschränktes binokulares Sehen: Pferde haben ihre Augen seitlich am Kopf, wodurch sie monokular sehen – das bedeutet, dass jedes Auge größtenteils unabhängig voneinander arbeitet und seine eigene Bildinformation ans Gehirn sendet. Das führt zu einem extrem weiten Sichtfeld (fast 340°), aber auch zu blinden Flecken direkt vor und hinter ihnen. Zudem ist ihr binokulares Sehen (also die Fähigkeit, mit beiden Augen gleichzeitig ein Bild zu verarbeiten) nur auf einen kleinen Bereich direkt vor ihnen begrenzt. Dadurch kann es passieren, dass ein Objekt auf der einen Seite wahrgenommen wird, aber wenn es auf die andere Seite gelangt, vom Pferd wie „neu“ betrachtet wird – ein Grund, warum viele Pferde auf Bewegungen oder Gegenstände plötzlich fluchtartig reagieren.
- Schlecht vernetzter Corpus Callosum: Der Corpus Callosum ist die Nervenverbindung zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte. Beim Menschen ermöglicht er einen schnellen Informationsaustausch zwischen beiden Seiten. Beim Pferd ist diese Verbindung jedoch deutlich schwächer ausgeprägt. Das bedeutet, dass Informationen, die mit einem Auge oder auf einer Körperseite wahrgenommen wurden, nicht automatisch auf die andere Seite übertragen werden. Deshalb kann es vorkommen, dass ein Pferd eine Übung auf der linken Hand perfekt versteht, auf der rechten jedoch völlig neu erlernen muss – sein Gehirn hat die Information nicht einfach „übersetzt“.
- Hochempfindliches Nervensystem & schnelle Fluchtreaktion: Pferde haben ein extrem fein abgestimmtes vegetatives Nervensystem, das blitzschnell zwischen Entspannung (Parasympathikus) und Alarmbereitschaft (Sympathikus) wechseln kann. Da sie Fluchttiere sind, ist ihr Gehirn darauf programmiert, Gefahren innerhalb von Sekundenbruchteilen zu erkennen und reflexartig zu reagieren, bevor eine bewusste Entscheidung getroffen wird. Das bedeutet: Ein unerwartetes Geräusch oder eine plötzliche Bewegung kann dazu führen, dass das Pferd bereits wegspringt, bevor es überhaupt bewusst „weiß“, was es erschreckt hat.
- Starke emotionale Verarbeitung & Spiegelneuronen: Pferde haben eine sehr ausgeprägte emotionale Intelligenz. Ihr Gehirn verarbeitet Emotionen nicht nur intensiv, sondern kann diese auch direkt körperlich ausdrücken. Durch ihre Spiegelneuronen nehmen sie Stimmungen und Spannungen in ihrer Umgebung sofort wahr – sowohl bei anderen Pferden als auch bei Menschen. Das erklärt, warum ein angespanntes oder unsicheres Pferd oft auf einen ebenso angespannten Menschen trifft: Das Pferd liest die Emotionen und reagiert darauf.
Diese besonderen neuronalen Eigenschaften machen Pferde zu faszinierenden, hochsensiblen und unglaublich wahrnehmungsfähigen Lebewesen. Wenn wir sie verstehen, können wir unser Training und unseren Umgang gezielt darauf abstimmen – für mehr Vertrauen, bessere Kommunikation und eine tiefere Verbindung.
Individuelles Pferdetraining – passend zur Persönlichkeit deines Pferdes
Jedes Pferd lernt anders – denn jedes Pferdegehirn verarbeitet Informationen auf seine eigene Weise. Manche Pferde sind neugierig und probieren gerne aus, andere brauchen mehr Zeit, um neue Dinge zu verstehen. Manche reagieren sensibel auf kleinste Veränderungen, während andere erst bei klaren Signalen wirklich aufmerksam werden.
Wenn wir das Gehirn unseres Pferdes verstehen und das Training auf seine natürliche Wahrnehmung, seine Lernmechanismen und seine individuelle Persönlichkeit abstimmen, können wir eine stabile Basis schaffen, die von Anfang an für Vertrauen, Sicherheit und Motivation sorgt.
Ein durchdachter Trainingsaufbau berücksichtigt nicht nur die körperlichen Fähigkeiten des Pferdes, sondern auch, wie es denkt, fühlt und Informationen speichert. So entsteht ein Lernprozess, der nicht auf Druck, sondern auf echter Verständigung basiert – und genau das ist der Schlüssel zu harmonischem und nachhaltigem Training.

Wie Pferde lernen und wie du dein Pferd sicherer machst
Pferde lernen nicht nur durch Wiederholung, sondern auch durch neurologische Verknüpfungen im Gehirn. Um gezielt mentale Stärke, Stressresistenz, Koordination und Gleichgewicht zu fördern, sollten Trainingslektionen so gestaltet sein, dass sie das Nervensystem positiv beeinflussen und das Pferdegehirn sinnvoll fordern. Hier sind zwei konkrete Bodenarbeitsübungen, die genau darauf abzielen.
Du kannst die Verbindung zwischen den Gehirnhälften und die VErknüpfungen im Gehirn deines Pferdes durch verschiedene Trigger optimieren. Beispielsweise durch wechselseitige Reize in 4 Bereichen:
- Optische Reize
- taktile Reize
- Propriozeptive Reize (Raum-Körper-Wahrnehmung)
- Anatomische Reize (Biegende Lektionen und Biegungswechsel
Gezielte Übungen zur tiefen Wahrnehmung und Koordination helfen dem Pferd, seinen Körper besser zu spüren und kontrolliert zu bewegen. Das beugt nicht nur Verletzungen vor, sondern verbessert auch die gesamte Bewegungsqualität – ideal für junge Pferde zur Grundausbildung, aber auch für ältere Pferde zur Erhaltung der Mobilität und Stabilität.
Ein gestresstes Pferd braucht nicht nur eine schnelle Beruhigung im Moment, sondern vor allem eine nachhaltige Strategie, um langfristig entspannter und stressresistenter zu werden.
Doch langfristig braucht ein Pferd mehr als nur Momente der Beruhigung – es braucht eine gesamte Umgebung, die Stress abbaut statt erzeugt. Ein durchdachter Trainingsaufbau, der Überforderung vermeidet und kleine, machbare Lernschritte setzt, hilft dem Pferd, Vertrauen in sich und seine Umwelt zu gewinnen.
Ebenso wichtig sind regelmäßige Rituale und eine konstante, berechenbare Führung, denn Vorhersehbarkeit schafft Sicherheit.
Ein ruhiges, stressfreies Stallumfeld, ausreichend Sozialkontakt mit anderen Pferden, viel freie Bewegung und eine individuelle Fütterung tragen zusätzlich dazu bei, das gesamte Nervensystem dauerhaft in eine ausgeglichenere Balance zu bringen.
Wer langfristig mit einem auf das Pferd abgestimmten Neurotraining arbeitet, kann die Fähigkeit zur Stressregulation aktiv fördern – denn ein Pferd, das lernt, mit Reizen besser umzugehen, wird nicht nur ruhiger, sondern auch mutiger, selbstbewusster und entspannter in allen Lebensbereichen.
Zusätzlich können gezielte Neurotrainingsmethoden eingesetzt werden, um die Verbindung zwischen dem limbischen System (Emotionen) und dem präfrontalen Cortex (bewusstes Lernen) zu stärken. Übungen, die kontrollierte Reize setzen und dem Pferd die Möglichkeit geben, diese eigenständig zu verarbeiten, helfen, die Fähigkeit zur Selbstregulation zu verbessern. Dazu gehören Reizgewöhnung über positive Verstärkung, Balance- und Koordinationsübungen sowie vernetzte Bewegungsmuster, die beide Gehirnhälften fordern.

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